Das homöopathische Anamnesegespräch

Das Hauptziel der Fallaufnahme ist es vor allem, den Patienten die Möglichkeit zu verschaffen, ihre Geschichte auf ihre eigene Art und Weise zu erzählen, und zwar in ihrem ganzen Umfang, wobei es ihnen ausdrücklich gestattet ist, ihre eigenen Worte zu benutzen, aber auch die Beobachtungen von Freunden und nahestehenden Personen mitzuteilen.

Die Patienten können diese Geschichte, ohne dass der Behandler sie unterbricht, so lange erzählen, bis sie ihrem Bericht nichts mehr hinzuzufügen haben.

Der die Fallaufnahme erhebende Homöopath ist immer wachsam und achtet darauf, dass ihm kein noch so kleiner Hinweis auf irgendeine prädisponierende Ursache oder auf irgendeinen Faktor entgeht, der den gegenwärtigen Krankheitszustand beeinflusst.

Als nächstes stellt der Homöopath Fragen hinsichtlich belastender Erlebnisse, Lebenskrisen oder vorausgegangener Erkrankungen, welche dem Patienten üblicherweise gut bekannt sind oder welche dieser zumindest erahnt.

Solche Ereignisse und Episoden lassen sich normalerweise durch sorgfältiges Befragen aufdecken.

Solange unsere eigenen Vorurteile schulmedizinischer Prägung nicht den Bericht der tatsächlichen Erfahrungen kranker Menschen vereiteln, können wir einschlägige und sachdienliche Faktoren aufspüren, welche eine streng pathologische Orientierung weder vermuten noch zulassen würde – wie etwa Beschwerden, die durch den Einfluss von Chemikalien hervorgerufen wurden, welche normalerweise kaum einen schädlichen Einfluss auf die meisten Menschen hätten, oder eine Impfung, die mit solchen Symptomen üblicherweise nicht in Verbindung gebracht wird.

Ein Fall von Kehlkopfspasmen

Ein 41jähriger Mann, der eine lange Vorgeschichte von Nahrungsmittelallergien und von Umweltallergien aufwies, begab sich aufgrund von Kehlkopfspasmen und Juckreiz in homöopathische Behandlung. Diese Beschwerden traten immer dann auf, wenn derlei Einflüsse einen signifikanten Schwellenwert erreichten. Solche Situationen machten ihn recht ängstlich und führten schließlich zu einer Medikamentenabhängigkeit vom Beruhigungsmittel Valium. Seine Symptome erlebte er als besonders beeinträchtigend vor dem Schlaf, den er fürchtete, und aus dem er leicht und oft erwachte. Auffallend war, dass seine Zunge beim Sprechen von einer Seite zur anderen aus dem Mund hervor schoss und er sie ebenso rasch wieder einzog. Er redete ununterbrochen, als stünde er unter einem Zwang und produzierte einen enormen Speichelfluss, während er seine Geschichte erzählte. Obwohl ihm jede von früheren Behandlern verordnete homöopathische Arznei eine beträchtliche Zeitlang geholfen hatte, kehrten seine Beschwerden immer wieder zurück, und am Ende reagierte er auf keine der verordneten Arzneien mehr. Schließlich lieferte er Beweise, dass die Fabrik, die neben seinem Büro gelegen war, schwach giftige Abfälle emittierte. So lernte er, mit einer gewissen Antidotierung der Wirkung seiner homöopathischen Arzneien zu rechnen, solange wie er an seinem alten Arbeitsplatz weiter arbeitete. Allerdings hatten die Arzneien, insbesondere Lachesis, seit seiner Konsultation eine nun viel längere Wirkung.

Homöopathen zeichnen Symptome so wortwörtlich wie möglich auf, indem sie ein Symptom nach dem anderen untereinander auf ein Blatt Papier schreiben, und sie lassen reichlich Raum zwischen den einzelnen Symptomen, um Notizen über weitere Klärungen einfügen zu können. Zwar nimmt das Anamnesegespräch viel Zeit in Anspruch, aber es folgt in jedem Punkt eng der Form der Standardanamnese, wie sie auch in der Schulmedizin durchgeführt wird. Auch zur homöopathischen Anamnese gehören jegliche physikalischen Untersuchungsresultate und Laboruntersuchungsergebnisse, welche erforderlich sind, um eine klinische Krankheitsdiagnose zu stellen.

Bei akuten Erkrankungen sind viele Informationen über die vergangene Krankheitsgeschichte, die Vorgeschichte in der Familie und der Überblick über die verschiedenen Organsysteme nicht nötig, weil sich die Krankheit darauf beschränkt, was im Augenblick unmittelbar zutage tritt oder sich vom üblichen Muster unterscheidet, und die Symptome selbst sind nicht so zahlreich.

Sie sind intensiver, oder der Patient äußert sie von sich aus häufiger, ohne dass man danach fragte.

Es kann aber auch sein, dass die Symptome im Hinblick auf das Verhalten oder die Körpersprache auffallen.

Ein Fall von Magen-Darm-Infekt mit Durchfällen

Ein achtjähriges Mädchen, das aufgrund seiner Ekzeme in der Vergangenheit erfolgreich homöopathisch behandelt worden war, wurde wegen eines Magen-Darm-Infekts in die Praxis gebracht. Dieser Infekt hatte vor einigen Wochen mit Erbrechen begonnen und war immer noch nicht abgeklungen. Der Magen-Darm-Infekt wurde von Durchfall mit übelriechenden Stühlen begleitet. Die durchfallartige Stuhlentleerung erfolgte plötzlich und explosionsartig, ohne dass das Mädchen dieses Geschehen beherrschen konnte. So kam es manchmal überraschend und ohne jede Vorwarnung zu Darmentleerungen. Das Kind war bei seiner Geburt adoptiert worden. Es erkrankte an den beschriebenen Beschwerden des Verdauungstrakts, nachdem es seinen Großvater besucht hatte, der damals im Sterben lag. Zu diesem Zeitpunkt hatte das Mädchen begonnen, nach seinen leiblichen Eltern zu fragen. Sie hatte den Wunsch geäußert, weitere Geschwister und Cousins zu haben, mit denen sie gemeinsam aufwachsen könnte. Nach einer einzigen Gabe Aloe C200 rief die Mutter an, um zu berichten, dass die Arznei die Krankheit sofort zum Stillstand gebracht hatte. Die Symptome traten nicht wieder auf.

Wenn der Patient seinen Bericht beendet hat, ist üblicherweise eine direkte Befragung vonnöten, um die Hauptsymptome im Einzelnen zu klären und näher zu charakterisieren.

Die indirekte Befragung dient aber auch dazu, nach anderen Aspekten der Vorgeschichte zu fragen, die bislang noch nicht erwähnt wurden.

Die Fragen sollten so formuliert sein, dass sie einen offenen Ausgang zulassen, und sie sollten den Patienten zum Nachdenken anregen.

Dabei hat der Homöopath darauf zu achten, dass er Fragen vermeidet, die sich mit einem einfachen Ja oder Nein beantworten lassen.

Er sollte auch keine Fragen stellen, welche eine Antwort signalisieren, die der Behandler sich vom Patienten wünschen könnte.

Symptome, die gut beschrieben wurden, um bei der Auswahl einer Arznei behilflich zu sein, sollten wenigsten einige, wenn nicht sogar alle der folgenden Elemente aufweisen:

1. Subjektive Empfindungen (Schmerz, Schwindel, Müdigkeit, Zorn usw.), welche sich nur mit Hilfe der Vorstellungskraft beschreiben lassen, wie zum Beispiel: „Schmerz, der sich anfühlt, als sei er von einem Instrument zugefügt worden, das in der Lage ist, genau diesen Schmerz zu verursachen“;

oder Gefühlszustände, die sich beschreiben lassen, indem man sich typischer Vignetten oder Hinweise auf charakteristische Verhaltensweisen bedient, wie z.B. die Beschreibung von Eigenschaften, die ein Freund oder eine geliebte Person am Patienten beobachten könnte.

Selbst ohne äußere Manifestationen zur Bekräftigung dieser subjektiven Empfindungen können diese persönlichen Empfindungen einen direkten Zugang zum inneren Zustand gewähren und auf diese Weise direkt auf die zentrale Störung hinweisen, aber sie können auch Indizien für die Arznei liefern, die dieser Situation am besten entspricht. Hier folgt ein diesen Punkt illustrierender Fall:

Ein Fall von Magengeschwüren und Brustschmerzen

Einer 38jährigen Frau war die Homöopathie von ihrem Arbeitgeber, der früher einmal gute homöopathische Hilfe erhalten hatte, empfohlen worden. Die Dame kam wegen Magengeschwüren und wegen Schmerzen in der Brust in die Sprechstunde. Ihre gesundheitliche Abwärtsspirale hatte drei Jahre zuvor begonnen, nachdem sie Drohanrufe von einer Frau erhalten hatte, die sich als die Geliebte ihres Ehemannes entpuppt hatte, und die ebenfalls die Mutter seines Kindes war. Daraufhin hatte die Patientin sich von ihrem Mann scheiden lassen und im Zuge dieser Entwicklung darüber hinaus auch noch eine Fehlgeburt erlitten. Obwohl sie sich darum bemühte, sich selbst aufzumuntern, indem sie gute Arbeitsanstellungen bekam und schließlich sogar ein Haus für sich selbst kaufte, war sie aus jeder ihrer Arbeitsverhältnisse entlassen worden. Als Folge dieser ganzen Vorgeschichte wurde klinisch eine Depression diagnostiziert. Die Patientin war nicht mehr in der Lage, ihr Leben eigenverantwortlich weiterzuführen. Obwohl ihr Fluoxetin (ein Antidepressivum) eine gewisse Besserung brachte, nahm sie so sehr an Gewicht zu, dass sie schließlich die Einnahme dieses Medikaments beendete. Als die Depression wieder zurückkehrte, nahm sie Johanniskraut gegen ihre seelische Verstimmung ein. Zu ungefähr der gleichen Zeit entwickelte sie ein Magengeschwür.

Die Frau war schon früher in Belastungszeiten anfällig für einen „nervösen Magen“ gewesen, doch konnte sie normalerweise diese Symptome beherrschen, indem sie sie ignorierte. Diesmal jedoch spürte sie so starke Magenschmerzen, „als habe mir jemand in den Magen getreten“. Diese Schmerzen bestanden, gleichgültig ob sie aß oder versuchte, nichts zu essen, aber sie traten insbesondere am Morgen auf, und zwar so stark, dass die Frau sich vor lauter Schmerz zusammenkrümmen musste. Die Schmerzen waren von Übelkeit begleitet und hatten sich durch die Einnahme von Zantic-Filmtabletten und Agopton in gewisser Weise gebessert, doch sie konnte trotzdem immer noch kein rohes Obst und keine Salate essen, ohne es hinterher bitter zu bereuen. In den vergangenen paar Wochen hatten sich in der Brust intensive Schmerzen entwickelt, die sich anfühlten, „als würde ich in einem Schraubstock stecken“. Diese Empfindung war begleitet von heftigem Herzklopfen, Hyperventilieren, schweißnassen Handflächen und anderen Angstsymptomen. Ein EKG und eine Ultraschallaufnahme zeigten nichts, was über das Gewöhnliche hinausging, aber sie konnte sich an ganz ähnliche Symptome erinnern, die aufgetreten waren, wenn sie an einer Bühnenaufführung teilnahm oder wenn sie sich furchtbar beeilen musste, um sich auf eine Reise vorzubereiten, der sie mit großer freudiger Anspannung schon lange entgegengesehen hatte.

Auf der Grundlage dieser und anderer Informationen erhielt sie das homöopathische Mittel Cactus grandiflorius C200. Dieses Mittel ist bekannt für zupackende, zusammenschnürende Schmerzen im Herzbereich oder an anderen Körperstellen, und der Patient, der diese Arznei braucht, hat die Empfindung, wie in einen Schraubstock eingeklemmt zu sein. Sechs Wochen später berichtete die Patientin ein wenig ungläubig: „Es funktioniert tatsächlich!“ Innerhalb von zwei Tagen nach Einnahme des Mittels war ihr der von dem Magengeschwür verursachte Schmerz verschwunden, und sie hatte wieder ihre Medikation reduziert und aß rohes Obst und Gemüse, ohne dass sie sich dafür eine Strafe in Form von Schmerzen einhandelte. Ihre Herzsymptome und ihre Brustschmerzen waren ebenfalls vollständig verschwunden und kamen auch nicht wieder, sogar, als sie in einem Schauspiel auftrat – was für sie „die große Nagelprobe“ war. Schließlich hörte sie zwei Wochen vor der nächsten Nachuntersuchung mit der Einnahme von Johanniskraut auf, und seit diesem Zeitpunkt fühlte sie sich deutlich energievoller. Auch der Schlaf war besser und erholsamer geworden. „Die Arznei war einfach großartig, ein wirkliches Wunder!“, schloss sie ihre Ausführungen.

Die Arznei brauchte nicht wiederholt zu werden, und es ging ihr weiterhin viele Monate lang gut. Die Brustschmerzen kamen niemals mehr zurück, und sie nahm auch kein Fluoxetin oder Johanniskraut mehr ein. Als die Magenschmerzen und die Symptome des Geschwürs wegen einer anstrengenden Zeit bei der Arbeit zurückkehrten, hatte Zantic, das sie versuchsweise dagegen einnahm, keinerlei Wirkung, und so wiederholte sie die homöopathische Arznei. Diesmal wirkte sie sogar noch besser als beim vorhergehenden Mal. Das ist nun zwei Jahre her, und sie hat seitdem weder eine weitere Konsultation benötigt, noch musste sie die Einnahme des homöopathischen Mittels wiederholen.

In die gleiche Kategorie der Empfindungen fallen die „seltsamen, eigentümlichen und charakteristischen“ Symptome, welche eigenartige Entwicklungen beschreiben, die so auffallend und ungewöhnlich sind, dass sie die anderen Symptome überschatten und diese manchmal sogar erklären können.

Als eine von ihrem Wärmehaushalt her eher fröstelige Patientin, die an einer schweren Bronchitis litt, berichtete, dass an Tagen, an denen es ihr besonders schlecht ging, sich die eingeatmete Luft bis hinab in die Lungen richtig kalt anfühlte, war dieses ungewöhnliche Symptom Anlass zur Suche nach einem möglichst identischen Symptom.

Dieses findet sich in der Arzneimittelprüfung von Cistus canadensis, der Felsenrose.

Damit ist dies eine Arznei, von der mit allem Grund angenommen werden durfte, dass sie der Patientin bei ihrer Beschwerde helfen würde.

Tatsächlich hielt Cistus canadensis, was es an Mittelwirkung versprach, und enttäuschte nicht.

2. Lokalisation, nämlich Symptome, die auf derselben Seite auftreten, oder welche die Seiten wechseln;

Schmerzen, die umherwandern oder ausstrahlen (wie z.B. Krampfschmerzen während der Menstruation, die in die Oberschenkel hinab ausstrahlen);

oder Symptome, die diffus oder umschrieben sind oder die immer an derselben Körperstelle auftreten.

Die Einzelheiten dieser Symptome sind den meisten Patienten sehr gut gegenwärtig und werden üblicherweise am besten beschrieben, indem der Patient die Körpersprache verwendet, wenn man ihn bittet zu zeigen, wo im Körper sich die Beschwerden befinden.

Die Lokalisierung von Beschwerden ist nicht nur für die konventionelle Diagnose hilfreich, sondern sie ist gleichermaßen wichtig für die Individualisierung der Arzneidiagnose, insbesondere, wenn mehrere unterschiedliche Symptome durchgehend auf derselben Körperseite auftreten.

Dieses Phänomen nämlich liefert einen Hinweis auf ein asymmetrisches Energiemuster, das für den Organismus charakteristisch ist und nichts mit irgendeiner bekannten Pathologie zu tun hat.

Ohne beispielsweise die detaillierten Arzneimittelprüfungen der Schlangengifte oder anderer Arzneien, bei denen die Seitenbetontheit besonders auffällt, wäre es wahrscheinlich keinem Menschen jemals in den Sinn gekommen, eine Seitenbeziehung einer Arznei als ein echtes und verlässliches Phänomen zu erkennen, das ein ernsthaftes Studium dieses Arzneimittels gerechtfertigt hätte.

In gleicher Weise haben Arzneimittelprüfungen von Arzneien mit Symptomen, die von einer Seite zur anderen hinüberwechseln, oder die umherwandern, oder die im Körper rasch von einem Ort zum nächsten Ort hinüberwechseln, dabei geholfen, diese und andere lokalisierbaren Phänomene auf dem Wege zur Auffindung einer geeigneten Behandlung dieser Beschwerden zu identifizieren und auch durch Heilung zu bestätigen.

3. Modalitäten. Dies sind Umstände, unter denen Symptome sich verstärken oder gelindert werden, oder es sind Einwirkungen, unter deren Einfluss sich die Symptome verschlimmern oder bessern.

Hierzu zählen bestimmte Zeiten des Tages oder der Nacht, Veränderungen des Wetters oder des Klimas, Gemütszustände, Nahrungsmittel, kurzum: praktisch alles.

Modalitäten sind weniger ungewöhnlich oder weniger seltsam als die „eigentümlichen, seltenen und sonderlichen“ Symptome. Modalitäten bezeichnen natürliche Zyklen und subtile Einflüsse, die bei vielen Menschen machtvoll, aber uneinheitlich und widersprüchlich am Werke sind – wie z.B. Tages- und Schlafrhythmen, saisonale oder jährliche Periodizitäten und atmosphärische Wetter- oder Klimabedingungen (Temperatur, Feuchtigkeit, Barometerdruck, Sonnenlicht und Mondlicht, Wind, Stürme usw.).

Jede dieser Modalitäten ist hinsichtlich des Ausmaßes und der Kombination mit dem Symptom bzw. mit mehreren Symptomen einzigartig, und keines zieht jeden Menschen oder sogar ein einziges Individuum auf die gleiche Weise zu allen Zeiten in Mitleidenschaft.

Ein Fall von Arthritis der Handgelenke

Zwei Jahre, nachdem sie homöopathisch erfolgreich wegen Infekten der Nasennebenhöhlen behandelt worden war, kam eine 40jährige Frau erneut in die Sprechstunde, um diesmal eine Behandlung wegen ihrer arthritischen Symptome in der rechten Hand zu bekommen. Hauptsächlich verspürte sie die Schmerzen im Handgelenk und in den Fingern, die auch sehr empfindlich waren. Ihre Beschwerde machte es für die Patientin schwierig, die Deckelverschlüsse von Gläsern zu öffnen oder Flaschenverschlüsse u. dgl. aufzuschrauben. Einher mit dieser Problematik ging eine gewisse Schwellung der Fingerknöchel. Hauptsächlich verschlimmerten sich die Gelenkschmerzen bei kaltem, feuchtem Wetter. Die Gelenke reagierten überdies außerordentlich empfindlich auf Bewegung, oder wenn die Patientin mit ihren Gelenken irgendwo anstieß oder sie Erschütterung ausgesetzt waren. Auch starke Gerüche machten der Frau zu schaffen, was ihr manchmal sogar Übelkeit verursachte und für sie ein schwerwiegendes Problem während der Schwangerschaft dargestellt hatte. Nach einer einzigen Gabe Colchicum C200 brauchte die Patienten drei Jahre lang nicht mehr zur Behandlung in die Sprechstunde kommen oder das Mittel zu wiederholen. Stattdessen wusste die Dame zu berichten, dass sich die Beschwerden in ihren Handgelenken und Fingern außerordentlich gebessert hätten, und dass sie gelegentlich auf eigene Initiative hin nach Bedarf eine oder zwei Gaben Colchicum C12 einnehme, dadurch stets eine gute Wirkung erziele und daher keine weitere Terminvereinbarung treffen müsse.

Modalitäten sind ebenfalls nützlich, wenn sie sich auf mehrere Symptome zur gleichen Zeit anwenden lassen.

In solchen Fällen weisen die Modalitäten auf einen Energiezustand des Organismus als Ganzem hin, und wenn diese Modalitäten beständig und widerspruchsfrei sind und sich klar formulieren lassen, können sie nützlich sein, um die Auswahl der möglichen Arzneien auf eine recht kleine Gruppe einzugrenzen.

Sie sind gleichermaßen wertvoll, um im Homöopathieunterricht eingesetzt zu werden, wenn es darum geht, subtile ursächliche Faktoren und Einflüsse zu veranschaulichen, die bei vielen Patienten aktiv wirken.

Solche Faktoren und Einflüsse schließt unsere schulmedizinischen Doppelblindversuchsanordnungen sehr wahrscheinlich aus oder lässt sie ganz einfach unberücksichtigt.

4. Begleitsymptome. Dies sind Symptome, welche andere Symptome begleiten, ihnen in einer klar erkennbaren Abfolge vorausgehen oder ihnen folgen – wie z.B. Übelkeit bei Kopfschmerz; Fieber und Durst, begleitet von Schüttelfrost oder Schwitzen und dgl. Solche Begleitsymptome stehen nicht unbedingt ursächlich in Zusammenhang mit den Patientenbeschwerden, sondern besitzen eine synchrone Beziehung – wie unabhängige, aber gleichzeitige Ereignisse. Diese Begleitsymptome sind einzig und allein charakteristisch hinsichtlich ihrer Anordnung, welche so seltsam und unerwartet ist, dass sie einen ganzen Fall oder ein ganzes Arzneimittelbild klärend beleuchten können.

Der begabte und gut ausgebildete Homöopath ist immer auf der Suche nach allem Ungewöhnlichen, Seltsamen, Auffälligen, was sich bezüglich der Krankheit oder des Patienten auffinden lässt.

Auf diese Weise wird er ein wirklicher Kenner nicht nur der Symptome, sondern gewinnt auch ein Feingefühl für die „Tönung und Klangfarbe“ des Anamnesegesprächs selbst.

Er nimmt damit eine engagierte und doch neutrale Stellung ein, die den Patienten den Mut gibt, sich ihrer dunkelsten Geheimnisse zu entledigen.

Viele dieser ungewöhnlichen, seltsamen Symptome passen niemals in eine vorgefertigte medizinisch-diagnostische Kategorie und rutschen daher leicht durch die Risse in unserem konventionellen Medizinsystem, das sich ja an nüchternen Krankheitsbeschreibungen orientiert.