Nicht-klassische Methoden

Die Homöopathie, deren Philosophie progressiv ausgerichtet ist und nach vorne blickt, bietet nicht nur eine peinlich genaue Methodik, sondern auch eine radikal neue Weise, Gesundheit und Krankheit zu betrachten.

Diese neue Betrachtungsweise hat ihrerseits eine große Anzahl experimenteller und klinischer Methoden inspiriert, die aber keinesfalls alle den Geboten der klassischen Homöopathie, nämlich der Berücksichtigung der Gesamtheit der Symptome, der Einzelgabe von Arzneien, der geringsten Dosis und anderen Prinzipien, die Dr. Hahnemann entwickelte, gehorchen.

Wie wir gesehen haben, traten die wichtigsten Abweichungen bereits zu Hahnemanns Lebzeit in Erscheinung und zogen sich vernichtende Kritik seitens des Meisters zu.

Diese Kritik richtete sich zum Beispiel gegen die Praxis, mehrere Arzneien zur gleichen Zeit einzusetzen, sie in niedrigen Verdünnungen zu verwenden und routinemäßig aufgrund spezifischer Krankheitsdiagnosen zu verordnen.

Alle diese Vorgehensweisen florieren auch heutzutage immer noch in den Praxen vieler Teilzeithomöopathen, welche die Homöopathie mit anderen Therapieverfahren vermischen.

Dieses Denken findet aber auch in den homöopathischen Komplexmitteln seinen Niederschlag, welche in jeder Apotheke zur Selbstbehandlung frei käuflich sind.

Im späteren 19. Jahrhundert lehnten sich loyale Gefolgsleute Hahnemanns beherzt gegen das Verschreiben aufgrund der körperlichen Pathologie des Patienten auf.

Diese Ärzte legten besonderen Wert auf die physiologischen Eigenschaften der niederen Potenzen und neigten dazu, die Wichtigkeit der geistigen und emotionalen Symptome komplett hintanzustellen.

Die organotrope Verordnung, die Schüßler-Salze

Der deutsche Arzt Schüßler benutzte niedrige Potenzen bzw. bediente sich der physiologischen Anwendung der Homöopathie. Seine Methode umfasst zwölf mineralische Arzneien (heutzutage ist dieses kleine Arsenal um einige Arzneien erweitert), die er „Biofunktionsmittel“ bzw. „Gewebesalze“ nennt.

Mit diesen zwölf Arzneien behandelte er alle Arten von Krankheit.

Dabei verzichtete er vollkommen auf die dem klassischen Homöopathen zur Verfügung stehende riesige Datenmenge der Materia medica, deren Umfang und Mannigfaltigkeit tatsächlich jede Person plagen und in Verwirrung stürzen kann, die es sich zum Ziel gesetzt hat, sie zu meistern.

Man sollte nicht vergessen, dass die homöopathische Arzneimittellehre uns doch auch eine unvergleichliche Pracht und Herrlichkeit und einen Reichtum ohnegleichen bereitstellt.

Anthroposophische Medizin

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte der österreichische Philosoph und Universalgebildete Rudolf Steiner (1861-1925), der Begründer der Waldorfpädagogik, der Biodynamischen Landwirtschaft und der Eurhythmie, eine ausgeklügelte Methode der Verordnung von homöopathisch zubereiteten Komplexmitteln.

Diese fußt teilweise auf esoterischen und spirituellen Indikationen, die ihm in den meisten Fällen durch direkte Intuition enthüllt wurden. Steiner und die „anthroposophischen“ Ärzte verkündeten sein elegantes poetisches System als eine Art perfektionierte Homöopathie.

Die „anthroposophischen“ Ärzte, die dieses Medizinsystem noch heute ausüben, haben sich immer dazu bekannt, Homöopathen zu sein, doch haben sie sich entschieden, nicht gemäß den Prinzipien Hahnemanns zu praktizieren.

Dadurch wurde das leidige Problem aufgeworfen, wie denn die Methode zu definieren sei, und auch heute noch wird darüber immer noch viel Tinte und Galle vergossen.

Doch die tief humanistische und spirituelle Gewichtung der Anthroposophie hat auch moderne Vertreter der klassischen Homöopathie beeinflusst – von Wheeler und Twentyman und ihren Schulen in Großbritannien bis hin zu Elizabeth Wright-Hubbard, Edward Whitmont, Henry Williams und deren Abstammungslinien in Amerika.

Als eine weitere Dimension des Verständnisses der Beziehungen zwischen Gruppen von Arzneien in der natürlichen Welt hat die anthroposophische Medizin auch dabei geholfen, das Fundament für das wichtige Werk des niederländischen Arztes Jan Scholten über die mineralischen Arzneien und das Periodensystem der chemischen Elemente zu legen, aber auch für des indischen Arztes Rajan Sankarans Werk über die allgemeinen Charakteristika der Arzneien aus dem Mineralreich, dem Pflanzenreich und dem Tierreich.

Die Bach-Blütenessenzen

Eine radikalere, aber weniger umstrittene Abweichung von der klassischen Methode sind die Bachblütenessenzen.

Diese erfreuen sich inzwischen großer Beliebtheit bei der Selbstbehandlung und sind auf der ganzen Welt erhältlich.

Der britische Arzt Edward Bach (1886-1936) arbeitete ursprünglich als Pathologe und begann seine tragisch kurze Karriere als Homöopath, als der er Pionierarbeit bei der Erforschung der Darmbakterien als sog. „Nosoden“ leistete, die Arzneien einer eigenen Klasse darstellen.

Doch nur wenig später „stieg er aus“ und wurde zu einem Heiligen, der in der ländlichen Umgebung Englands umherwanderte, an Blumen roch, zu denen es ihn auf geheimnisvolle Weise hinzog und deren Heileigenschaften er intuitiv erkannte.

Diese benutzte er, um den Kranken zu helfen, denen er auf seinen Wanderungen begegnete.

Er konzentrierte sich in erster Linie auf die seelisch-spirituellen Eigenschaften dieser „Blütenarzneien“ und entwickelte darüber hinaus auch eine ebenso einfache wie elegante Methode, um sie herzustellen.

Dabei legte er die Blütenblätter in Wasser und setzte sie dem Sonnenlicht aus, um sie auf diese Weise zu „potenzieren“.

Derart umging er den mühsamen Prozess der homöopathischen Dynamisierung.

In gleicher Weise destillierten seine wunderschönen poetischen Beschreibungen die Gesamtheit der Symptome zu einer Ganzheit reiner Spiritualität.

Weil seine Blütenessenzen vor allem in ätherischen Bereichen zu wirken schienen – also ohne Beeinflussung durch andere Arzneien und ohne sich mit der Wirkung anderer Arzneien zu überlagern, gleichgültig, ob es sich dabei um homöopathische Arzneien handelte oder um Medizin anderer Herkunft –, fühlte Edward Bach sich berechtigt, die körperlichen Symptome gänzlich unberücksichtigt zu lassen.

Deshalb hielt er es auch nicht für nötig, das Prinzip der Gabe jeweils nur eines einzigen Mittels zu beachten und gab die gerade angezeigte Arznei oder gar eine Reihe indizierter Arzneien so oft, wie es wünschenswert erschien, und dies sogar unbefristet und von unbegrenzter Dauer.

Angesichts dokumentierter und bisweilen sogar bemerkenswerter Erfolge selbst bei schweren und angeblich „unheilbaren“ Erkrankungen sollten diese Arzneien von Dr. Bach und seine vereinfachte Methode bei ihrer Auswahl und ihrer Anwendung allen guten Homöopathen eine Herausforderung sein, wenn es um die Antwort auf die Frage geht, weshalb sie denn so sehr dem langatmigen und ausgeklügelten „Gedöns“ der Verdünnung und Verschüttelung und dem Prinzip, nur eine einzige Arznei aufgrund der Gesamtheit der Symptome und so selten wie nur möglich zu verabfolgen, anhängen.

Ich persönlich kann sagen, dass es mir Freude bereitet, etwas Neues über Arzneien zu erfahren, indem ich sie studiere.

Dabei trainiere und korrigiere ich nicht nur meine Intuition, sondern lerne um des Lernens willen.

Doch noch wichtiger ist, dass ich wachsam bin und mich nicht von vornherein darin festlege, dass ich nur seelisch-spirituelle oder emotionale Aspekte des Kranken zu berücksichtigen brauche.

Auch wenn es mühsam ist, bevorzuge ich dennoch die klassische Disziplin, die darin besteht, einfach alle Symptome, sowohl die körperlichen Symptome als auch die des Gemüts, aufzuschreiben und festzuhalten, und zwar so, wie sie mir im Patienten begegnen, nämlich typischerweise zusammengemischt.

Es bleibt aber eine faire und bedeutsame Frage, die sich sicherlich ganz unterschiedlich und anders beantworten ließen, als ich es hier tue.

Heutzutage, da das Konzept der Blütenessenzen und deren Methode per Massenabsatz inzwischen auf Dutzende weiterer Pflanzen durch andere Menschen angewandt wird, die Anspruch darauf erheben, in der reinen Tradition Dr. Bachs zu stehen, können weder die Reinheit des Lebens, das er führte, noch die Einfachheit seiner Experimente die Methodik seiner Nachahmer segnen oder mit Garantie für sie einstehen.

Diese Methodik wird so objektiv und wissenschaftlich bewertet werden müssen wie alle anderen Behauptungen dieser Art auch.

Jedenfalls hat die teilweise esoterische Welt, die von der Homöopathie bedingt, ausgemalt und angestrahlt wurde, eine lange Historie von technischen und wissenschaftlichen Neuerungen entstehen lassen – angefangen bei Hahnemanns frühen Experimenten mit Dilutionen und der Verschüttelung dieser Lösungen bis hin zu einer Vielfalt an mechanischen Apparaten zum „Potenzieren“, welche seine Nachfolger im 19. Jahrhundert patentieren ließen und verwendeten.

Dazu gehörten mehrere Generationen von Technologien, die bis in unsere Zeit hineinreichen und bis heute nur dürftig beurkundet und für echt erklärt worden sind und recht futuristisch anmuten.

Elektrodiagnostische Homöopathie

Seit Beginn des 20. Jahrhunderts strebt eine kleine Anzahl von Forschern danach, experimentelle Methoden zu entwickeln, um die Energie der Lebenskraft aufzuspüren, zu messen und zu nutzen, welche ja nicht nur die Grundlage der Homöopathie ist, sondern auch die anderer verwandter Heilkünste mit ganzheitlichem Ansatz.

Die ursprüngliche Abrams-Maschine und das spätere Monometer von Boyd, beide dafür ersonnen, die bioelektrischen Potentiale der Körperoberfläche zu messen, waren frühe Versionen der verschiedenen elektrodiagnostischen Maschinen, die in unserer heutigen Zeit von Klinikern eingesetzt werden, um tiefe pathologische Erkrankungen zu diagnostizieren, für die es keine ausführliche Symptomatik gibt.

Dazu zählen z.B. Krebs im fortgeschrittenen Stadium und verschiedene andere degenerative Erkrankungen.

Solche frühen Versionen der „experimentellen Homöopathie“ halfen dabei, das riesige, noch nicht kartographierte Territorium zu öffnen, das heutzutage als das nagelneue Feld der „Energiemedizin“ aufdringlich beworben wird und das sich Vertreter dieser Energiemedizin angeeignet haben.

Aufbauend auf die Arbeit des deutschen Arztes Reinhold Voll, die dieser in den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts leistete, behaupten die Anwender ausgeklügelter Geräte, die dem Zweck der Vermessung und Zuordnung dienen, sie könnten an verschiedenen Akupunkturpunkten elektronische Messwerte erzielen.

Dieses Verfahren würde den Zugang zu tieferen Ebenen subtiler und ätherischer Energiediagnose gestatten, indem man sich die enorme Datenbank der traditionellen chinesischen und japanischen Medizin zunutze mache.

Einerseits ist der Einfallsreichtum der Gestaltung dieser Geräte bewundernswert, ebenso die riesige Bandbreite der Phänomene, die sie umspannen.

Auch verblüfft die Genauigkeit, mit der diese elektrodiagnostischen Maschinen mit den großen Meistern des Morgenlandes bisweilen gleichziehen. Andererseits erfordert die Anwendung dieser Gerätschaften einen gewissen Grad an intuitiver Kunstfertigkeit und Einfühlsamkeit auf Seiten der sie bedienenden Person.

Dadurch wird deren Nützlichkeit eingeschränkt, und es wird somit deren Anspruch untergraben, etwas Objektives zu messen, das unabhängig vom Prozess der Messung existiert.

Der kinesiologie Ansatz

In den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts erdachte Guy Beckley Stearns, ein erstklassiger Homöopath mit starkem Interesse an Physik, einen scharfsinnigen und ausgetüftelten Test, um herauszufinden, ob die scheinbar angezeigte Arznei in einem gegebenen Fall korrekt gewählt sei.

Dieser Test bediente sich der messbaren Wirkung der Arznei auf den Puls und auf verschiedene Muskelreflexe, wenn man das betreffende Arzneifläschchen einfach in die Hand nimmt.

Dieses Verfahren ist eines der ersten bekannten Bespiele für die Kinesiologie.

Bei ähnlichen Versuchen in dem Bemühen, sich des elektromagnetischen Feldes zu bedienen, das alle lebendigen Organismen ausstrahlen, kommt ein Handpendel durch hellfühlig begabte Homöopathen zum Einsatz, die auf diese Weise die korrekte Arznei zu ermitteln suchen – ähnlich der Anwendung einer Wünschelrute, mit deren Hilfe man Grundwasser lokalisieren kann.

Radionik

Begeben wir uns auf dem schlüpfrigen Abhang, auf dem wir uns gerade befinden, ein wenig weiter nach unten, begegnen wir noch komplexeren Geräten – etwa denen, die für Radionik und Radiästhesie erdacht wurden.

Von diesen behaupten ihre Benutzer, dass sie in der Lage seien, homöopathische Arzneien „ätherisch“ herzustellen, und zwar ausgehend von ihren unverwechselbaren magnetischen Interferenzmustern.

Dabei sei dann keinerlei Vermittlung einer chemischen Trägersubstanz mehr vonnöten.

Wenngleich ich persönlich weder das Talent noch die Neigung besitze, eine solche Technik anzuwenden, liegt es mir fern, sie lächerlich zu machen.

Denn ich habe während eines Aufenthalts in Australien erfahren, dass Arzneien, die auf diese Weise gewählt und hergestellt wurden, ohne weiteres ihre Wirkung taten.

Weil die klassische Homöopathie bereits die Grenzen zwischen der gewöhnlichen Erfahrung, die wir mit unseren fünf Sinnen machen, und den feinstofflicheren Reichen verwischt, zu denen Hellsichtigkeit, Telepathie, Radionik, Heilung durch Glaube und Gebet usw. zählen, sollten derartige Elemente eigentlich keine unüberwindbaren und ablehnungswürdigen Hindernisse darstellen.

Kirlian-Photographie

Die eleganteste und stets wiederholbare Demonstration der Lebenskraft ist bis heute die Technik der Kirlian-„Photographie“.

Diese wurde vor vielen Jahren durch einen russischen Wissenschaftler mit homöopathischem Hintergrund entdeckt.

Die Kirlian-„Photographie“ liefert uns elegante und wunderschöne Bilder der „Aura“ bzw. des Energiefeldes, das alles lebendige Gewebe umgibt, und könnte durchaus zu einem nützlichen Instrument sowohl zur Diagnose als auch zur Behandlung im modernen quantitativen Sinne werden.

Teilweise ist es diesen Erkundungen zuzuschreiben, dass es nie zu einer einheitlichen Definition der Homöopathie unter den Menschen gekommen ist, die unter dem Schirm der Bezeichnung Homöopathie diese Form der Heilkunst studieren und ausüben.

Schon zu Hahnemanns Lebzeiten, und bis in unsere Tage hinein, entstand immer wieder eine große Anzahl verwirrender Umarbeitungen und Abwandlungen, die von sich behaupteten, von irgendeinem Aspekt seines Werks abzustammen.

Viele dieser Adaptionen und Modifizierungen stehen auch heute noch so sehr im Konflikt mit Hahnemanns Lehre, dass sie bewirken, dass die „homöopathische Familie“ zersplittert bleibt und nicht gewillt ist, das gemeinsame Fundament dessen, an das wir Homöopathen alle glauben, zu akzeptieren, in seinem Namen ein Bündnis miteinander einzugehen oder sich gar für eine solche Gemeinsamkeit deutlich auszusprechen.

Man kann sicherlich sagen, dass die Homöopathie eine noch junge bioenergetische Naturwissenschaft ist und sich als solche so rasch entwickelt, dass es angesichts eines so rasanten Wachstums gegenwärtig ein enormer Fehler wäre zu versuchen, die Homöopathie doktrinär zu starr und zu ausschließlich zu definieren.

Was nun den klassischen Ansatz der Homöopathie, die ich selbst als meinen Beruf ausübe, angeht, so tue ich dies, weil dies eine Heilkunde ist, die in sich stimmig und wunderschön ist, und selbst die furchteinflößende Herausforderung, die darin besteht zu erlernen, wie man die Homöopathie bis zur Kunstfertigkeit ausübt, verleiht ihrer Vision doch nur noch eine umso größere Tiefe.

Ich erhebe für sie indessen nicht das Monopol auf die Wahrheit. Andererseits gilt, dass die Homöopathie dem grundlegenden Bedürfnis von uns Menschen entgegenkommt, zu wachsen und von einander zu lernen.