Der Patient

Die Kunst, sich um kranke Menschen zu kümmern, geht natürlich über das einfache Niederschreiben von Informationen oder die sparsame Vergabe von Arzneien hinaus.

Es kann möglicherweise eine Zeit vergehen, bis es gelingt, einen angemessenen Rahmen und eine für die Heilung vorteilhafte Beziehung zwischen dem Homöopathen und seinem Patienten herzustellen.

Zumindest in Bezug auf eine Behandlung braucht jeder, der von Schmerzen, Leiden und Behinderung bis hin zur Invalidität geplagt wird, grundsätzlich Hilfe durch die persönliche Beziehung mit dem behandelnden Homöopathen,

  1. um ein Verständnis dafür zu gewinnen, was mit ihm zum gegenwärtigen Zeitpunkt geschieht;
  2. um eine funktionierende erzählbare Geschichte seiner Krankheit zu konstruieren;
  3. um eine sichere Reisepassage für sich als Patienten durch diese Beschwerden hindurch zu finden und dabei lenkend durch den homöopathischen Therapeuten begleitet zu werden – und
  4. um einen Weg zu visualisieren, der, soweit dies möglich ist, über den gegenwärtigen Zustand des Patienten hinausweist.

Hauptsächlich, weil so viel Wert auf die Gesamtheit der Symptome, die Individualität des Patienten und die gewöhnliche Sprache des täglichen Lebens gelegt wird, ist das homöopathische Anamnesegespräch bereits für sich selbst genommen eine mächtige Erfahrung darüber, was Heilung sein kann.

Diese Erfahrung bereitet den Arzneien den Weg, ihre Arbeit darin fortzusetzen, die Ganzheit wiederherzustellen, nachdem der Patient die Praxis verlassen hat.


Ein Fall von Bettnässen und rezidivierenden Blasenentzündungen

Ein 10jähriges Mädchen wurde der homöopathischen Behandlung wegen nächtlichen Bettnässens zugeführt, welches begann, als das Mädchen drei Jahre alt war. Damals trennten sich seine Eltern. Das nächtliche Bettnässen bestand seitdem fort, trat aber nur zu Hause in eigenen Bett des Kindes auf, niemals aber während des Besuchs bei Verwandten oder wenn es im Hause einer Freundin übernachtete. Überdies neigte das Mädchen dazu, an akuten Blasenentzündungen zu erkranken, welche mit stechenden Schmerzen in der Harnröhre einhergingen und das Kind oft während der Nacht aufweckten. Der Schmerz war so stark, dass das Mädchen vor Schmerzen laut schreien musste.

Nachdem ihr Vater wieder zur Familie zurückgekehrt war, fürchtete sie sich vor ihm und seiner dröhnenden Stimme, insbesondere, nachdem er ihrer Geschichte keinen Glauben hatte schenken wollen, dass ein Nachbarjunge sie sexuell missbraucht hatte. Seit diesem Zeitpunkt reagierte sie überempfindlich auf Neckereien oder Kritik seitens ihres Vaters oder ihres älteren Bruders oder wann immer ihre Freundinnen Geheimnisse erzählten und alles daran setzten, um sie aus der Gruppe auszuschließen. Dieses Verhalten trieben die anderen Mädchen oftmals so sehr auf die Spitze, dass das Kind die Gruppe der Mädchen in Tränen aufgelöst verließ und ihren Zorn über die Demütigung an ihrer Mutter ausließ.

Vier Wochen nach einer Einzelgabe Staphisagria 10M berichtete die Mutter, „dass das Bettnässen sogar noch schlimmer als jemals zuvor geworden ist und dass meine Tochter manchmal sehr entmutigt scheint und ungeduldig darauf wartet, dass die Arznei endlich wirken möge. Mein Kind hatte aber auch sehr viel über unseren Besuch bei Ihnen gesprochen und über die Art und Weise, wie Sie ihr zuhörten, und sie schien Erleichterung darüber zu empfinden, dass sie mit Ihnen über das sexuelle Zeugs sprechen konnte.“ Das blieb für die folgenden zwei Jahre einstweilen die letzte Nachricht. Schließlich brachte die Mutter ihre Tochter zurück in die Sprechstunde, um sie wegen einer anderen Beschwerde behandeln zu lassen. Nun erzählte die Mutter, dass das Bettnässen ein paar Wochen nach Absenden ihres Briefes aufgehört hatte und niemals wieder aufgetreten war.